... in der Welt des Schräg/Denkens I

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Der Trio/Logik letzter Teil

Her­mann Stau­pe staun­te. Und zwar nicht schlecht. Das war son­der­bar, denn nor­ma­ler­wei­se war Her­mann gar nicht gut im Stau­nen. Noch nie gewe­sen. Er hat­te schon als Kind lie­ber Ver­ste­cken gespielt und war da immer gut im Fin­den gewe­sen. Mit Bau­klöt­zen hat­te er nie etwas am Hut gehabt.

Die feder­leich­ten Luft­bla­sen, die um ihn her­um schweb­ten, bestan­den aus bun­ten Blu­men­wör­tern so wie „Wür­de” oder „Wahr­heit” oder „Wer­te“. Es waren natür­lich auch Luft­wör­ter ohne W dabei, genau­so wer­tig, wahr und wür­dig. Sehr schön, so wie jun­ge Mäd­chen mit lan­gem blon­dem Haar im wei­ßen Kleid, die Händ­chen­hal­tend Elfen­gleich in Zeit­lu­pe über eine grü­ne Wese lau­fen. Sobald Her­mann sich ihnen (den Wör­tern, nicht den Mäd­chen) zu nahe näher­te, lös­ten sie aber sich auf. Ein­fach so. Völ­lig geräuschlos.

Zwei Gestal­ten lös­ten sich nicht, son­dern tauch­ten auf. Ob von unten oder von hin­ten, konn­te Her­mann nicht erken­nen, denn er war ja noch am Stau­nen. Alle Luft­bla­sen waren jetzt aus und auf, näm­lich gebla­sen und in Luft gelöst.

Der eine Jou­ri schritt ker­zen­ge­ra­de nach vor­ne. Er hielt sich völ­lig auf­recht, steif und mit recht­schaf­fen durch­ge­drück­tem Kreuz. Sei­ne lin­ke Schul­ter war viel höher als die rech­te, in der Mit­te war nichts. Dafür war um ihn her­um ein Rah­men, höl­zern oder auch betonisch.

Der ande­re Jou­ri war eine gal­lert­ar­ti­ge Mas­se, die sich gestalt­mäs­sig stän­dig änder­te und hin und her waber­te und wackel­te. Von links nach rechts und oben nach unten und zurück und vor. Ein biss­chen wie der nicht an die Wand zu nageln­de Pud­ding. Er stieß stän­dig senk­rech­te Blit­ze mit einem Punkt dar­un­ter aus sich.

Natür­lich sind alle doof, außer mir“, sag­te der ein­ge­rahm­te Jou­ri, „Kei­ner schert sich mehr um Dop­pel­punkt und Kom­ma. Des­halb muss ich für alle den Rah­men gestal­ten. Es geht um Hal­tung.

Quatsch!”, sag­te der mas­si­ge Jou­ri, „Rah­men, Dop­pel­punkt und Kom­ma oder wie der Mist heißt! Schlag­zei­le! Rumms/ Bumms und aus!

Du wirst nicht bestrei­ten”, sag­te Rahmen/Haltungs/Jouri zu Massen/Jouri, „dass zum Bei­spiel der Satz ‚Suchen heißt nicht fin­den’ eine beträcht­li­che Sinn­än­de­rung durch den Dop­pel­punkt erfährt. Nach dem zwei­ten Wort ist es eine defi­ni­ti­ve Aus­sa­ge, nach dem drit­ten besteht immer­hin noch eine gewis­se Mög­lich­keit. Und aus der Fra­ge ‚Was willst du schon wie­der?’ wird durch ein Kom­ma nach dem ers­ten Wort aus aggres­siv generv­tem Gen­öle eine kämp­fe­ri­sche Empö­rung gegen den all­wär­tig herr­schen­den Sexis­mus.

Völ­lig unwich­tig”, waber­te der ande­re Jou­ri und mäan­der­te vor sich hin. „Trä­nen! Leid! Klei­ne Kin­der! Und Tie­re! Tie­re gehen immer! Sonst Sex! Tit­ten! Gro­ße Tit­ten! Super­tit­ti­ge Tit­ten!

Wäh­rend ihres Dis­puts hat­ten die bei­den den guten Her­mann völ­lig ein­ge­kreist, obwohl sie ihn völ­lig igno­rier­ten und jeder per­ma­nent nur um sich kreis­te. Und das empör­te Her­mann völlig. 

Sagt mal, ihr Schräg­lin­ge, nehmt ihr ande­re über­haupt wahr? Oder gar wich­tig?”, frag­te er, „Und wie soll mir das hel­fen, es zu fin­den? Ihr wisst doch, dass ich auf der Suche bin.

Ich fin­de immer nur, was ich suche“, sag­te der eine Jou­ri, „weil ich weiß, was ich suche und nichts ande­res fin­den will. Nur das neh­me ich als Wahr­heit wahr. Ich recher­chie­re mir doch nicht mei­ne Mei­nung kaputt. Die ist näm­lich die ein­zig rich­ti­ge. Weil sie die ein­zig mora­li­sche ist. Und für alle den Rah­men schafft. Und somit für die rich­ti­ge Hal­tung sorgt.

Er zog die lin­ke Schul­ter ein Stück wei­ter hoch und blick­te aus sei­nem Auge ver­ächt­lich auf die Mas­se unter ihm. „Der hin­ge­gen sucht alles und fin­det nichts.

Doch, Auf­la­ge! Reich­wei­te! Quo­te!”, quiek­te Massen/Jouri und blitz­te wei­ter. „Ein­fluss! Macht!”.

Ach so”, Her­mann begann zu ver­ste­hen, „dann seid ihr die so genann­te vier­te Gewalt?

Die bei­den schüt­tel­ten sich vor Lachen. „Vier­te Gewalt? Wer, bit­te schön, sol­len denn die drei ande­ren sein?”, sag­te der eine Jou­ri – Her­mann konn­te sie jetzt nicht mehr unter­schei­den, denn sie fin­gen an, ihre ursprüng­li­che Form auf­zu­ge­ben und sich zu glei­chen, auch anein­an­der an.

Ich weiß schon, wen er meint”, sag­te der ande­re. „Die theo­re­ti­schen Is. Legis, Exis und wir ohne O. Aber denen geben wir doch den Rah­men und die Schlag­zei­len! Und was wären die ohne die?

Her­mann Stau­pe ärger­te sich. Er beschloss, bei­de Jou­ris zu ärgern. Also sag­te er: „Kennt ihr einen der kür­zes­ten Wit­ze der Welt­ge­schich­te? Der geht so: Gehen zwei Jour­na­lis­ten an einer Knei­pe vor­bei”, und lach­te. Bei­na­he sich scheckig. 

Die mitt­ler­wei­le ein wie der ande­re Jou­ri blieb unge­rührt. „Alt, völ­lig unwit­zig und vol­ler Kli­schees”, tadel­te er.

So wie du/ihr”, sag­te Hermann.