...und der Klischeekiller

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Alle hat­ten sie den Vor­trag „Der Unter­schied zwi­schen Kli­schee, Vor­ur­teil und Ste­reo­typ“ gehört. Sie waren sich aber nicht sicher, ob sie ihn auch ver­stan­den hat­ten. Also beschlos­sen die Mit­glie­der der Arbeits­ge­mein­schaft „Alle Rich­tig Depres­si­ven“ (ARD) noch am Tat­ort, einen Not­ruf abzu­set­zen und Her­mann anzu­ru­fen. Als sie davon Wind bekam, riss sie Her­mann den Auf­trag aus den Hän­den und die Sache an sich an sich.

Zwei Wochen spä­ter hat­te Her­mann einen Mords­spaß. Mit wach­sen­der Begeis­te­rung hör­te er ihrem ver­zwei­fel­ten Ver­such zu, den Länderfunker*innen das Dreh­buch ihres Kri­mis „Der Kli­schee­kil­ler“ näher­zu­brin­gen. Ange­sichts ihrer Vor­ge­schich­te war er heil­froh, dass die Föde­ra­lis­ten nicht phy­sisch anwe­send waren, son­dern sich mit ihr zu einer soge­nann­ten „Schal­te“ zusam­men­ge­fun­den hat­ten. Er hät­te sonst Angst um die Gesund­heit der Anstalt­ler gehabt. Er wuss­te ja, wozu sie im Extrem­fall fähig war, wenn sie auf intel­lek­tu­el­le Wenig­zel­ler zu sto­ßen glaub­te (sie­he „Die delinea­re Zeit…“). So aber konn­te er die wich­ti­ge, ungleich­ge­wich­ti­ge Kon­fe­renz in allen Ein­zel­hei­ten genie­ßen. Ja, er nahm sie sogar mit dem Han­dy auf. („Sonst glaubt mir das spä­ter ja keiner!“)



Sie: „Der Kom­mis­sar betritt den Tat­ort: eine Vil­la.

Die Vertreterin der „Weinerlich Dämlichen Reporter“ (WDR): „Mal was Anderes. Guuuuter Anfang. Deutet subtil auf die Verderbtheit des Kapitalismus hin. Reiche Säcke begehen Morde.

Sie: „Der Kom­mis­sar trägt einen Drei­tei­ler und einen Schlips.

WDR: „Wie, keine Lederjacke? Keine Jeans? Mit dem Typen stimmt doch was nicht. Ist er wenigstens unrasiert?"

Sie: „Er ist, wie wir spä­ter erfah­ren wer­den, glück­lich ver­hei­ra­tet mit einer Invest­ment­ban­ke­rin und auch sonst ganz zufrie­den mit sei­nem Leben.“

Der Repräsentant von „Mäuse Denken Rückwärts“ (MDR): „Völlig unrealistisch. Wenn der Kommissar nicht geschieden ist, ist er alkoholkrank, ausgebrannt oder desillusioniert. Oder alles. Oder hat sonst ‘nen Zacken weg.

Sie: „Der Tote war Unter­neh­mer und mil­lio­nen­schwer.

MDR: „Und hatte garantiert Dreck am Stecken. Yepp. Jetzt kriegen wir wieder die Kurve.

Sie (schon deut­lich genervt): „Viel­leicht krie­gen wir alle am bes­ten die Kur­ve, wenn ich jetzt auf die Ein­zel­hei­ten und Sprün­ge des Dreh­buchs ver­zich­te und Ihnen erst ein­mal den gan­zen Plot im Schnell­durch­gang erzäh­le. Nur den Haupt­plot, ohne Neben­fi­gu­ren und ande­re Hand­lungs­strän­ge, um Sie nicht zu ver­wir­ren. Am bes­ten schön line­ar, damit Sie auch mit­kom­men.



(Hier also der Plot. Plus die Reak­tio­nen der Depressiven.)

Der Unter­neh­mer, Rei­ner Edel­mann, hat mit­nich­ten Dreck am Ste­cken, im Gegenteil.

WDR: „Haben die doch alle!

Er hat eine Serie des Repor­ters mit dem Pseud­onym „Tri­ple G“ über erfolg­rei­che Men­schen gele­sen, die mit ihrer Arbeit auf­op­fe­rungs­voll der Gesell­schaft die­nen. Beson­ders her­vor­ge­ho­ben wer­den von „Tri­ple G“ zwei Wohl­tä­ter: Pau­le Pre­ten­der, der Geschäfts­füh­rer des Umwelt­schutz­ver­bands „Unse­re ein­zi­ge Erde“, und Fato­u­ma­ta Fatal, die Reprä­sen­tan­tin vom „Migrants in Socie­ty“, einer Orga­ni­sa­ti­on, die sich der tat­kräf­ti­gen Unter­stüt­zung von Migran­ten aus Afri­ka ver­schrie­ben hat.

Vertreterin von „Ständig wiederholendes Ritual“ (SWR): „Prima Einführung der Protagonisten. Klare Kante. Böse gegen gut. Pädagogisch wertvoll.

Rei­ner Edel­mann beschließt, den bei­den Orga­ni­sa­tio­nen eine beträcht­li­che Spen­de zukom­men zu lassen.

SWR: „Aha, er will irgendwie Geld waschen, der Gauner!

Etwas spä­ter ent­deckt Dr. Chris­ti­an Nobel, der Chef­arzt des ört­li­chen Krankenhauses,

MDR: „Dreck am Stecken, Dreck am Stecken!

dass in sei­nem Kran­ken­haus ein schwung­vol­ler Organ­han­del betrie­ben wird. Er ist empört und lei­tet eine gehei­me, inter­ne Unter­su­chung ein. Ein Zwi­schen­er­geb­nis lässt dar­auf schlie­ßen, dass Fato­u­ma­ta Fatal dar­in ver­wi­ckelt ist. Die­se, eine 32-jäh­ri­ge, bise­xu­el­le Schwar­ze aus Mali, hat offen­bar ihre Stel­lung miss­braucht, um …

Vertreterin „Sabberndes Rudel“ (SR): Unerhört! Politisch unkorrekt! Rassistisch! Frauenfeindlich!

zusam­men mit anderen …

SR: „Der Unternehmer! Der Chefarzt!

die Not der Migran­ten auszunutzen.

Durcheinander von mehreren Stimmen, die sich über die politische Inkorrektheit empören, dass sich eine Person mit der Herkunft, der Hautfarbe und der Position von Fatoumata Fatal einer juristischen Inkorrektheit hingegeben haben soll.

Dr. Chris­ti­an Nobel schüt­tet bei einem Tee sei­nem Schwa­ger Rei­ner Edel­mann sein Herz aus und erzählt ihm von sei­nem Ver­dacht. Die­ser ist ent­setzt und will sei­ne Spen­den neu über­den­ken. Um Licht in die Sache zu brin­gen, heu­ert er die bekann­te Detek­ti­vin Saman­tha Spa­de an, die Fato­u­ma­ta Fatal über­wa­chen soll. Sie beschat­tet die Migran­tin meh­re­re Tage lang und filmt ein Tref­fen von Fatal mit einem jun­gen, lang­haa­ri­gen Mann in Jeans und Hoodie,

Repräsentant „Notorisch Doofe Redakteure“ (NDR): „Aha, ein Guter. Heldin trifft Held. Wurde auch Zeit.

der sich als Pau­le Pre­ten­der, der Geschäfts­füh­rer von „Unse­re ein­zi­ge Erde“, entpuppt.

NDR: „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört.

Saman­tha Spa­de beginnt nun auch mit der Über­wa­chung von Pre­ten­der und bekommt her­aus, dass die­ser Gel­der sei­ner Orga­ni­sa­ti­on ver­un­treut und damit den Organ­han­del von Fatal über „Migrants in Socie­ty“ mit­fi­nan­ziert. Bei­de nut­zen die Not der armen Migran­ten aus und brin­gen sie dazu, ihre Orga­ne zu verkaufen.

Vertreterin „Richtig blöder Bumms“ (RBB): „WAAAS? Wie unrealistisch ist das denn? Unsere Leute tun so etwas nicht!

Pre­ten­der und Fatal haben einen Jour­na­lis­ten namens Gre­gor Geld­gier (Pseud­onym „Tri­ple G“) besto­chen, damit die­ser posi­ti­ve Arti­kel über sie verfasst.

Die Schalte steht (dem Hören nach) kurz vor der Auflösung. Die Vertreter von „Ruhende Beamte“ (RB) und „Hässliche Rentner“ (HR) verlassen kurzzeitig aus Protest den Raum. Sie finden das Gehörte unerhört.
Bedächtig reagierend beruhigt die Repräsentantin von „Bedenken Regiert“ (BR) die Situation und sorgt dafür, dass die Schalte fortgesetzt wird. Allerdings mit der deutlichen Ermahnung an Hermann Staupe und sie, mit der „Mischung aus krudem Märchen, gestörter Wahrheitswahrnehmung und gefährlicher politischer Grundeinstellung, die eindeutig den Werten der “Alle Richtig Depressiven“ diametral entgegensteht“, zum Ende zu kommen.



(Also schnell zurück zur Schalte.)

Sie: „Saman­tha Spa­de infor­miert ihren Auf­trag­ge­ber Rei­ner Edel­mann. Die­ser ruft Pau­le Pre­ten­der und Fato­u­ma­ta Fatal an. Er kün­digt an, die Spen­den zurück­zu­zie­hen und die kri­mi­nel­len Ver­feh­lun­gen der bei­den an die Öffent­lich­keit zu brin­gen.

„Sabberndes Rudel“ (SR): „Drecksack! Das ist klare Erpressung!

Sie: „Pre­ten­der, Fatal und Tri­ple G tref­fen sich, um zu bespre­chen, wie sie aus der Sache raus kom­men. Ein paar Tage spä­ter liegt Edel­mann tot in sei­ner Vil­la.

„Richtig blöder Bumms“ (RBB): „Geschieht ihm Recht, dem Schweinehund! Aber was hat das Eine mit dem Anderen zu tun?

Sie: „Wer der Täter ist, bleibt unklar.

„Ständig Wiederholendes Ritual“ (SWR): „Geht nicht. Wir haben immer einen Täter.

Sie: (seuf­zend) „Gut, dann war es Gre­gor Geld­gier, der von Pre­ten­der und Fatal infor­miert wor­den ist und um sei­ne Stel­lung, sei­nen Ruf und sei­nen Lebens­stil fürch­tet.

„Notorisch Doofe Redakteure“ (NDR): „Ein Journalist als Täter? Erstens ist das unmöglich. Zweitens: Das wäre überhaupt kein klischeehafter Killer. Der Titel passt überhaupt nicht.

Sie (fast ton­los): „Hab ich mir gedacht, dass Sie es nicht ver­stan­den haben. Sie glau­ben allen Erns­tes, dass der Titel was mit dem Täter zu tun hat?

Alle (richtig depressiv): Verständnisloses Schweigen.



Her­mann nahm ihr sanft ihr Han­dy aus der Hand und schal­te­te es aus. Sie schau­te ihn an, mit einer Mischung aus Resi­gna­ti­on, Ver­zweif­lung und Ver­ach­tung. „Eins sage ich dir, Her­mann: nie, nie wie­der wer­de ich vor denen einen Vor­trag hal­ten. Und was schrei­ben für die wer­de ich auch nicht mehr. Die haben noch nicht mal kapiert, dass sich der Titel des Dreh­buchs nicht auf den Täter bezieht, son­dern auf den Kri­mi.