Hermann Staupe blickte, das muss ehrlicherweise gesagt werden, nicht ohne Sorgen auf die Saison 2022. Und das hatte nichts mit dem angedrohten Besuch von Oma Klon zu tun.
Sein Verein, dem er seit Geburt angehörte, hatte einen ständigen Niedergang hinter sich. Die Ergebnisse waren seit vielen Jahren schlecht; entsprechend hatte der Ruf der Mannschaft gelitten. Die anderen Vereine hatten erst auf‑, dann ein- und schließlich überholt. War sein Club überhaupt noch wettbewerbsfähig?
Auf der letzten Jahreshauptversammlung im Herbst (natürlich digital, im vierten Anlauf klappte dann auch alles – außer bei den Fanclubs in Berlin, aber das war ja nun wirklich nichts Neues) hatten die Mitglieder einen neuen Vorstand gewählt. Die bisherige Vorstandsvorsitzende hatte sich in den letzten Jahren langsam in Luft aufgelöst und war entschwoben-verschwunden, ganz sacht, ganz gemächlich, ohne dass es jemand bemerkt hätte. Zum Schluss konnten aber sogar die Mitglieder das Vakuum mit Händen greifen und beschlossen, das Prinzip der Beliebigkeit in neue, ungeahnte Dimensionen der Konturlosigkeit zu führen.
Nachfolger wurde also ihr bisheriger Vize, der als enger Bruder im Geiste den Abstieg des Vereins in die Bedeutungslosigkeit tatkräftig durch Tatenlosigkeit mitzuverantworten hatte (Die Tatsache, dass er trotzdem gewählt wurde, warf in Hermanns Augen grundlegende Fragen nach dem Prinzip der Verantwortung in Sportvereinen und dem Kurzzeitgedächtnis der Mitglieder auf). Fortan existierte er (also der VV, nicht Hermann!) auf Erden als lebende Verifizierung für die bis dahin von Fachleuten immer als absurd bezeichnete These, dass man sogar als Hamburger aufsteigen kann.
Für die Beziehungen zur Liga und den anderen Vereinen wurde eine Schriftstellerin zuständig, die sich auf historische Sachbücher spezialisiert hatte. In diesem früheren Leben hatte sie allerdings wenig Erfolg vorzuweisen, Kritiker ordneten zum Beispiel ihr Hauptwerk „The Life and Times of Me“ in den neuen Bereich der „retrospektiven Science Fiction“ ein. Andere verrissen ihre Konvolute als „voll von Wunschdenken“, „nett, aber naiv“ oder als „total an der Realität vorbei“. Die Pessimisten unter den Mitgliedern befürchteten, dass ähnliche Bewertungen in ein paar Jahren auch das Resümee ihres aktuellen Wirkens sein würden.
Andererseits konnte sie auch beim besten Willen und den schlechtesten Taten keine größere Fehlbesetzung als ihr Vorgänger sein, dessen körperliche Größe in direkter Korrelation zu seiner intellektuellen stand und der den Verlust seines moralischen Wertekompasses durch dräuende Rhetorik zu camouflieren versuchte. Seine 1.50 Meter Inkompetenz und anmaßende Arroganz im Maßanzug maßlos aufgepumpt, hatte er es nach dem Skandalspiel bei Talib Absurdistan noch nicht einmal geschafft, die ganze Mannschaft heil aus dem Stadion zu bringen.
Aus diesem Debakel hatte der neue Chef den Schluss gezogen, dass der Verein lernen müsse, sich besser zu wehren. Es galt zunächst einmal, die Verteidigung zu stabilisieren. Also bestimmte er die frühere Vereinsjuristin zur „CoordinatorIn Defense“. Die völlig Verwirrte war wie ihre beiden Vorgängerinnen tutenundblasenahnungslos und hielt 3–5‑2 für die Glückszahl im Mittwochslotto; Leopard und Marder standen bei ihr auf der Liste der bedrohten Tierarten. Ihre Ernennung kam völlig überraschend und dann doch wieder nicht, denn seit vielen Jahren war der Verein bei der Besetzung wichtiger Posten einem klaren Prinzip gefolgt: „Sachkompetenz wird eh‘ gesellschaftlich weit überschätzt“.
Wohlmeinende Fans und Mitglieder bewerteten diese Chefentscheidung deshalb auch als deutliches erneutes Zeichen von inhaltlicher und struktureller Kontinuität. Die (wenigen) Progressiven interpretierten diesen weiblichen Griff nach dem Marschallinstab oder der Marschallstäbin als feministischen Mut, sich selbst zu verwirklichen und als Individuum mal was Neues, was ganz was Neues zu machen. „Das ist der Beweis: Frauen können wirklich alles!“, titelte Emma, die Mutter aller Sportgazetten.
Ein Spezialtrainer für die Offensive wurde übrigens nach Intervention der früheren Schriftstellerin nicht verpflichtet, da dies die Beziehungen zu den anderen Vereinen verschlechtert hätte. „Rhetorik reicht – also ich“, hieß es. Auch hier: Kontinuität.
Ihr Hauptaugenmerk wollte die neue Verteidigungsspezialistin auf eine bessere Einkaufspolitik legen. Gerade in dieser Hinsicht hatte der Verein in den letzten Spielzeiten fast fortwährend unter einer Serie von hausgemachten Skandalen leiden müssen. Die Liste der Fehleinkäufe war legendär, Millionen und Abermillionen waren ungeprüft in den schwarzen Taschen von dubiosen Spielerberatern versickert, manche Neueinkäufe gar nicht erst auf dem Vereinsgelände erschienen – alles zu Lasten der Mannschaft, die so Schritt für Schritt nach unten durchgereicht worden war.
Neuer Vereinsarzt wurde der Erfinder des Dauerwarntons, der stammelnde Schamane „Ich hab nen Scheiß-Frisör“, der vom ehemaligen Ligarivalen TSG (TalkShowGast) Hoffnungslos abgeworben wurde. Er sollte die Zahl der Verletzungen durch verbales Hand-auflegen, physische Dauerpräsenz und sorgenfaltiges Stirnrunzeln verringern und nebenbei das Vereins-TV mit neuen Sendeformaten wie „Ich warne vor…“ (täglich) oder „Warum ich Recht hatte“ (halbtäglich) aufpeppen. Sein aus der ihm eigenen Bescheidenheit geborenes Angebot, auch noch als Sturmspitze der ersten Mannschaft die zum Aufstieg nötigen Tore persönlich zu schießen („Ob rechts oder links oder mit dem Kopf: ich kann das“) wurde vom Vorsitzenden nach langer Überlegung dann doch abgelehnt („Rechts und links: ok, aber mit dem Kopf?“).
Immerhin konnte man dem neuen Doc gewisse Grundkenntnisse in seinem Bereich nicht absprechen, ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger, einem Maulrevolverhelden, der schneller als sein eigener Schatten gezogen und auch geschossen hatte. Leider hatte er sich aber wie ein Brummkreisel ständig um sich selbst gedreht und uncomicmäßig wild in der Gegend herum geballert – noch dazu fast immer aus der Hüfte – und mit zunehmender Nervosität immer mehr die Übersicht verloren. Das Resultat: Mit wöchentlich steigenden Anzahl der Schüsse hatte der Spahn der Zeit* immer mehr an ihm genagt und die Zahl der Treffer immer weiter abgenommen. Paradoxer (oder logischer-) weise war die Zahl der Toten im gleichen Zeitraum permanent gestiegen.
Richtig fahrend elektrisiert war die Mitgliederversammlung dann von dem Mann, der als designierter Vizevorsitzender von zukünftigen Erfolgen auf dem grünen Rasen träumte und versprach, die ganze Mannschaft auf ein völlig neues Energielevel zu bringen. Der Verein könne so in ein paar Jahren Europa- und ein bisschen später auch Weltmeister werden. In diesem Zeitraum werde er auch die ersten konkreten Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels vorschlagen, beteuerte er mit seelsorgerischer Schäfchenmiene und duldvollem Dackelblick. Das Wichtigste sei das Was, das Wie käme später. „Im Prinzip geht es nur um eins: Wir müssen viel Wind machen – und dafür stehe ich!“
Manche Vereinsmitglieder befürchteten allerdings, dass er bei der praktischen Umsetzung seiner Pläne, die bis dahin im Verein herrschende negative in rein positive Energie umzuwandeln, in permanenten Konflikt mit seinem Fanclub „St. Florian“ geraten könne, dessen Mitglieder bis dato bürgerrechts- und naturschutzbeseelt jegliche Veränderung des status quo vor Ort, also in ihrem eigenen, durch langfristige Verwicklung des Vorstandes in juristische Auseinandersetzungen verhindert hatten.
Als einziger aus dem alten Vorstand blieb der „Beauftragte für Fans und andere Zu-kurz-Gekommene“ in seinem angestammten Arbeitsgebiet. Er hatte damals sein Heil in der Flucht zu den Fans gesucht, vor allem zum größten Fanclub PROLL (Permanent Resignierende Orientierungslose LebensLoser) und die VIP-Logen durch Stehplätze ersetzt sowie Freibier für alle eingeführt. Bezeichnenderweise musste man als seinen größten Coup jedoch das „erscheinungslose Erscheingeld“ bezeichnen: Jeder Besucher eines Spiels bekam vom Verein 10 Euro; egal, ob er erschien oder nicht. „Man kann sich auch engagieren, ohne was zu tun“: Mit diesem Spruch erntete er auf der Jahreshauptversammlung stehende Ovationen und wurde im Amt bestätigt.
Die Versammlung war zu Ende gegangen wie immer: Alle Mitglieder schunkelten und herzten sich zum Vereinslied, das unter allen Vorständen fast seit der Gründung, sicher aber in den letzten Dekaden immer am Ende gesungen wurde, weil es das Selbstverständnis des Vereins so treffend auf den Punkt brachte und als Mantra das Leben so vieler Mitglieder prägte:
„Wenn schon keine Ahnung, dann von ganz viel!”
Nein, Hermann Staupe blickte wirklich nicht ohne Sorgen auf die Saison 2022.
* Anmerk. des Verfassers: Ich weiß, dass der nicht sehr niveauvoll war, aber den KONNTE ich nicht liegen lassen.
Brilliante Analyse, die vor allem einen Vorteil bietet: Die neue Saison kann uns nun kaum noch negativ überraschen!
Als ausgewiesener Nichtkenner dieses Vereins und auf der Auswahlliste für den möglichen nächsten Bundestrainer Platz 81.000.00 besetzend, möchte ich mal Stellung nehmen zu diesem büchhahnenden staupenden Unsinn:
1. Schalke 04 hatte stets eine kompetente Führung. Sie hat alles dafür getan, das schon im Vereinsnamen angestrebte Ziel, nämlich die 04. Liga zu erreichen und ist auf dem besten Weg dorthin.
2. Für die schlechten Spiele sind allein die Fans verantwortlich, welche Vereinsführung und Spieler nicht genügend verehrt und gepampert haben.
3. Ausgenommen sind die Ultras. Die sind nie an etwas Schuld.
4. Falls irgendwer meine Kompetenz anzweifelt, so möchte ich sie mit folgender Weisheit beweisen: Das Runde muss ins Eckige!
Ich wünsche allseits ein gutes neues Jahr.
Glaube nicht, dass Schland in diesem Jahr irgendwas reißt – weder in Katar, der EU oder sonstwo.
Und jeder Verein in Schwierigkeiten hat doch geschasste Trainer, die sich in Medien verbreiten, was die aktuelle Vereinsführung doch besser machen könnte (und sie selber doch nicht besser gemacht haben). Und ich rede nicht über Fortuna 95. So eine prägnante Trainer-Stimme ist sicher der regional aktive Söderius. Sein Glaubenssatz ist „i‑wab“ (hat nichts mit dem neuen I‑Phone zu tun sondern meint: i wois alles bessa). Zur Zeit schreibt er wohl an einer neuen Philippika – hoch in den Bergen mit oder ohne sieben Zwerge…….
Neben dem „i‑wab” gibts schon seit einiger Zeit, aber jetzt in neuer Version das „i‑ten”, das „i‑wau” und das
„i‑zuz”...
„ich tue erstmal nix”, „ich warte auf Unentschlossene”, „ich zögere und zaudere”